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VI.

Time to kill it

Backstage bei der Stand-up-Comedy-Show

Der Weg zum Comedy-Erfolg

Wo es für Ratcliffe einmal hingehen könnte, sieht man an einem Abend im Salzstadel in Landshut. Bayerische Provinz. Die Bühne in dem mittelalterlichen Saal mit seinen Holzbalken und -streben ist in rotes Licht getaucht. Darauf steht Maximilian Gstettenbauer, 31 Jahre alt, selbstsicher, genannt Maxi. Rotes oder blaues Licht? Ton ist gut. Sound- und Lichtcheck dauern zwei Minuten. Comedians sind ein dankbares Geschäft für Veranstalter, vorausgesetzt natürlich, sie ziehen die Leute. Gstettenbauer zieht sie. Er macht das ja auch schon zehn Jahre.

Gut 200 Zuschauer sind in den Salzstadel gekommen, ausverkauft. Gstettenbauer steigt auf die Bühne und beginnt mit einer Anekdote darüber, wie er vor einem Café saß und einen Raben dabei beobachtet, eine Nuss zu knacken. Er spielt sich selbst, er spielt den Raben, der immer genervter wird. Am Ende lässt der Vogel die Nuss aus der Luft fallen, trifft aber einen Radfahrer, der prompt einen Unfall baut. Die Polizei befragt Gstettenbauer als Zeugen.

„Und dann war ich wieder in dieser blöden Situation: Ich musste lügen, damit die Leute mir glauben“, sagt er.

„Ich hab' dann gesagt, die Flüchtlinge waren's.“

Comedian Maxi Gstettenbauer bei seinem Auftritt in der Berliner Urania
Gstettenbauer spricht über seine Liebe zu Videospielen und darüber, ein Stubenhocker zu sein. Wie es ist, jung und verheiratet zu sein. über die Schwierigkeit, erwachsen zu werden. Einmal, sagt er, habe er seinen Vater gefragt, ob der denn einen Plan hatte im Leben. Gstettenbauer spielt den Vater, der nur lacht, halb ertappt, und sagt: „Ich hab' halt reingehalten und da warst du.“

Darf der das? Witze auf Kosten von Flüchtlingen, auf Kosten von Frauen, der eigenen Mutter? Diese Fragen stellen sich bei seinem Set überhaupt nicht. Gstettenbauers Haltung ist zu jeder Sekunde klar. Der Witz geht nicht auf Kosten von Flüchtlingen, er geht auf Kosten der Zeiten, die einfach irre sind. Der Witz geht nicht auf Kosten von Frauen, er zielt auf junge Männer, die sich mit dem Erwachsenwerden schwertun. Eben, offenbar, wie Gstettenbauer selbst.

Er spielt ein Bit über Germany's Next Topmodel. Das ist zwar schon etwas älter, funktioniert aber. Wie absurd es sei, wenn sich junge Frauen für fett halten, sagt er. „Ich sage denn: Nein, du bist nicht fett. Sie ist überhaupt nicht fett. Aber dann krallt sie sich mit der einen Hand an den Bauch“  – er macht es vor  – „und sie sagt: Aber kuck' mal hier, das ist doch Fett. Warum ist da so viel Fett? Und ich: Ja, weil… ähm… du noch lebst!“

"Ein Witz ist wie ein Song, ein Gedicht, eine Skulptur“
Jeder könnte ja am Alltag verzweifeln, sei es vor Banalität oder überforderung. Darum spricht Gstettenbauer, indem er nur über sich selbst spricht (oder zumindest die Version seiner selbst, die auf der Bühne steht), gleichzeitig über alle jungen Männer. Die sind in seiner Erzählung weder Versager noch strahlende Sieger, sie sind Menschen mit Ängsten und Zweifeln. Sie geben ihr Bestes, aber manchmal reicht das nicht. Sie meinen es gut, aber auf diese Meinung gibt die Welt wenig. Gstettenbauer kann noch das kleinste Detail mit Humor nehmen kann, darum steht er zwar nicht drüber, aber immerhin aufrecht. In der Summe macht ihn das: zu einem sympathischen Typen. Geht der Witz im Kabarett ins Hirn, geht er hier direkt in den Bauch.

Würde man Harald Schmidt als Wesen voller Zweifel bezeichnen? Jan Böhmermann? „Schmidt ist kein Mensch“, sagte der alte Schmidt-Gefährte Herbert Feuerstein einmal in einem Interview dem Spiegel, „es liegt etwas Übernatürliches in seiner Person“.

Zuschauer bei Maxi Gstettenbauers Show 'Lieber Maxi als normal'
Sie stehen immer schon drüber, auf der zweiten oder dritten Metaebene. Genauso wie das klassische politische Kabarett. Wer anprangert, hat eben wenig Raum für Zweifel. Sonst würde er kaum anprangern. Die Botschaft ist wichtig, und wer sie überbringt, ist letzten Endes egal. Es geht nicht um Emotion, es geht ums Gewissen. Sie machen es uns nicht leicht, darüber kann man nur lachen. Die Stand-up-Comedy dagegen sagt: So ist das Leben. Lasst uns drüber lachen.

Am besten sieht man das live. Witze lassen sich geschrieben kaum vermitteln. Alleine vor Youtube im Wohnzimmer sitzend, muss man bei den Nummern aus Gstettenbauers Programm schon mal schmunzeln. Im Salzstadel in Landshut wogt die Menge hin und her vor Lachen, so hochfrequent setzt Gstettenbauer seine Punchlines. Im Stand-up-Jargon: Gstettenbauer killt.

In der zweiten Hälfte muss er dreimal für einen Witz ansetzen, weil im Publikum ständig laut klappernd Flaschen fallen lassen. Er nutzt das für Unterhaltungen mit den Zuschauern. Als einer zackig Niederbairisch antwortet, hält Gstettenbauer, selber Niederbayer, inne.

„Habt ihr das gehört? Das war wieder einmal ein super Beispiel für diese besondere Fähigkeit der Niederbayern: Die sagen nur einen kurzen Satz. Aber im Tonfall geben sie dir zu verstehen, was für ein riesendummes Arschloch du bist. Ach, ich bin so gern in der Heimat.“

Es folgen zehn improvisierte Minuten über das Wesen der Niederbayern. Für das Publikum sind es die besten des Abends. Weil es weiß: Das hier gehört allein uns.

Material vorbereiten, aber auch die Gelegenheit zur Improvisation erkennen: Gstettenbauer hat sich diese Fähigkeiten erarbeitet, auf der, eben, Ochsentour von Bühne zu Bühne. Ein paar Mal trat er bei Stefan Raabs TV Total auf. Heute füllt er Theater, Stadt- und Kongresshallen. Anfang des Jahres spielte er im Theater am Tanzbrunnen in Köln. Ein paar Wochen vorher war Bill Burr da.

Autogrammstunde mit Maxi Gstettenbauer nach der Show in der Urania
„Es ist heute leichter, sein Publikum zu finden“, sagt Gstettenbauer in der geräumigen Künstlergarderobe. Früher gab es die Torwächter: das Privatfernsehen, Produktionsfirmen wie Brainpool aus Köln, Sendungen wie den Quatsch Comedy Club, die bestimmt haben, was im Fernsehen läuft, also die Masse erreicht. Fernsehen oder nix, war die Losung. Heute nicht mehr. „Das Fernsehen ist immer darauf angewiesen, dass einer durchs Netz steil geht“, sagt Gstettenbauer.

„Vielleicht komme ich als Comedian nie dazu, Tausenderhallen zu spielen, weil ich nicht Mainstream genug bin.“ Aber in einer Stadt wie Landshut 200 Zuschauer zu ziehen, mehr noch: 200 interessierte Fans, dazu reicht es.

Kabarett oder Comedy? Nur die Deutschen machen diesen Unterschied. „Weil wir uns einbilden,
wenn niemand lacht, wäre es anspruchsvoll.“
Und noch etwas leistet das Internet: Es schafft ein globales Humor-Insidertum. Auf Youtube oder Streaming-Portalen wie Netflix kann man sich englische, australische, amerikanische Comedians ansehen, gute wie schlechte. Gstettenbauer will überhaupt nichts gegen deutsche Comedians sagen. „Ich sag mal: Du findest die deutschen Comedians gut, bis du die amerikanischen kennenlernst.“ Natürlich kennt man auch heute noch Loriot oder Hape Kerkeling. „Aber die Leute kennen heute eben auch Louis C. K., Monty Python, The Office oder die Simpsons.“

Was macht das mit dem deutschen Humor? „Es gibt keinen deutschen Humor“, sagt Gstettenbauer. „Es gibt nur Humor.“ Und der wird vielschichtiger, findet er, weniger schematisch. „Diese Trennung Kabarett-Comedy hat sich komplett überholt“, sagt Gstettenbauer. „Die interessiert niemanden mehr im Publikum.“ Nur die Deutschen machen diesen Unterschied. Gstettenbauer sagt: „Weil wir uns einbilden, wenn niemand lacht, wäre es anspruchsvoll.“ Heißt umgekehrt: „Nur weil ein Gag lustig ist, heißt das nicht, dass er weniger wert ist.“

Comedian Maxi Gstettenbauer vor der Show im Backstage
Als wäre das Lustige immer das Banale und Naheliegende. Wie viel Gedanken und Arbeit es braucht, dass ein Witz zündet: die Auswahl des Themas, das zum Comedian passt, das gleichzeitig das Publikum anspricht, eine Haltung zur Welt, Emotion, das Erzeugen einer Spannung, das Enttäuschen der Spannung mit einer absurden Punchline, die alles auf den Kopf stellt. An 60 Minuten geschliffenem Programm arbeiten Comedians wie Gstettenbauer mitunter Jahre. „Der Witz wird in Deutschland noch nicht als Leistung verstanden“, sagt er. „Aber ein Witz ist wie ein Song, ein Gedicht, eine Skulptur.“

Kunst ist schön, macht aber viel Arbeit. Genialität fällt nicht vom Himmel, sie entsteht aus der Beherrschung des Handwerks. Bei der Comedy heißt das: schreiben, anpassen, verwerfen, Neustart. Es brauche noch mehr offene Bühnen, sagt Gstettenbauer. „Die Leute müssen das selbst ausprobieren.“ So sei das ja beim Poetry-Slam auch gewesen. Wenn es mehr Comedians gibt, dann auch mehr gute Comedians.

Das Internet hat ein globales
Humor-Insidertum geschaffen
Bedeutet es nicht auch mehr schlechte? Ja, vielleicht. Aber was soll’s schon. Everybody bombs. Vielleicht wird so der Humor in Deutschland wieder freier. Vielleicht kann er die Eisenkugel abschnallen. Bis man irgendwann nicht mehr gegeneinander lacht.

Im Podcast von Ja&Weiter erzählte Gstettenbauer einmal, wie er vor ein paar Jahren in San Francisco auf die Bühne stieg. Comedy Day, ein Comedy-Festival im Mutterland der Stand-up-Comedy. Im Publikum: Robin Williams. Für Deutsche: der große Schauspieler und Oscar-Preisträger aus Good Will Hunting. Amerikaner und Stand-up-Fans kennen ihn als Stand-up-Legende. (Moderator Hans Thalhammer fragte Gstettenbauer im Podcast ehrfürchtig: „Darf ich deine Augen anfassen?“)

Williams sagte: Du hast den lustigen Typen aus Deutschland auf der Bühne nur gespielt. Aber das warst nicht du. Du traust dich noch nicht, die Dinge zu sagen, die du eigentlich sagen willst. Ein Jahr später trafen sie sich beim Comedy Day wieder. Gstettenbauer erzählt, dass sich die Legende an den kleinen deutschen Comedian erinnerte. „Hey Max“, sagte er. „How is Germany?“
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© Bernhard Hiergeist